6. | Der weite Atem

Maggie’s Podcast ist bei Spotify, Apple Podcasts & Google Podcasts

Die Übung Der weite Atem möchte Dich auf Deinem Weg hin zu mehr Selbstvertrauen und Selbstliebe unterstützen, indem Du Dich aus ungesunden Verstrickungen mit Deinen Eltern befreist und es so mutig wagst, mehr Freiheit und Autonomie zu erleben. Auch wenn Du Deine leibliche Mutter oder Deinen leiblichen Vater nicht kennst, kannst Du diese Übung machen, indem Du sie Dir einfach vorstellst. Ich führe Dich ganz genau durch diese Systemische Familienaufstellung durch, im Unterschied zu einer normalen Aufstellung, die den Stellvertreter:innen viele Möglichkeiten gibt, sich nach ihren Impulsen frei zu bewegen. 

Im Weiten Atem stellt sich normalerweise der oder die Patient:in aus der Therapiegruppe, die diese Übung für sich erleben möchte, gesammelt an einen Ort in den Raum. Rechts neben ihr steht ein Stellvertreter für ihren Vater und links neben ihr eine Stellvertreterin für ihre Mutter. Beide hat sie vorher aus der Gruppe ausgewählt.

Da im Moment aufgrund der Corona-Bedingungen keine Familienaufstellungen mit körperlicher Berührung stattfinden können, machen wir diese Übung rein in der Vorstellung. 

Mein Kollege Michael Weber, der mit mir vor Jahren in einer Aufstellungsintervisionsgruppe zusammenarbeitete, hat diese Übung weiterentwickelt. Er ist leider 2007 bei einer Herz-OP gestorben und ich bin sehr dankbar, dass ich Euch diese Übung anbieten kann.

Du kannst die Übung auch allein für Dich Zuhause mit Deiner Vorstellungskraft machen:

Stellt Euch vor, wie ihr zu dritt nebeneinander steht. Dass neben Dir Deine leiblichen Eltern stehen, rechts Dein Vater, links Deine Mutter und Du als Kind in der Mitte. 

Alle schauen in eine Richtung. Spürt Eure Füße und spürt Euer Gewicht, das Euch mit dem Boden verbindet, gleichzeitig diese leichte Aufrichtung, die Euch mit oben verbindet und zwischen oben und unten Eure persönliche Mitte.

Nehmt Euren Atem wahr, wie er fließt – ein und aus und Pause und lasst Euch mehr und mehr ankommen an Eurem persönlichen Platz.

Dann verbinden sich die Personen außen (rechts der Vater und links die Mutter) mit dem Kind, indem sie die ihnen jeweils zugewandte Hand des Kindes in die zugewandte eigene Hand nehmen und halten. 

Das Kind lässt die Hände nehmen und halten, so dass es beide Arme entspannen kann.

Das Kind atmet weit und tief und verbindet sich mit den Eltern, indem es durch seine Hände rechts und links, dann über die Arme, in den Brustkorb hinein bis zum Herzen aus beiden Richtungen das Leben wie einen Strom aus Licht fließen lässt.

Manchmal hat das Licht eine Farbe, auch unterschiedlich von der rechten bzw. der linken Seite, manchmal ist es ganz pur und hell.

Indem ihr atmet spürt ihr, wie das Strömen aus der rechten Seite und der linken Seite sich in eurem Herzen verbindet und dort eins wird.

Sobald das Kind spürt, dass der Lebensstrom im Herzen angekommen ist, drückt es die Hand des Vaters und der Mutter als Impuls, dass die Eltern das Kind loslassen können.

Das Kind legt dann beide Hände über die Stelle des eigenen Herzens und atmet 3 oder mehr Atemzüge tief ein und aus bevor es einen Schritt nach vorne macht. Ganz in seiner Zeit.

Dann atmet es wieder 3 oder mehr Atemzüge tief ein und aus und macht einen weiteren Schritt nach vorne.  

Und nach weiteren 3 oder mehr tiefen Atemzügen macht es einen dritten Schritt nach vorn.

Dort angekommen spürt es den Boden unter den Füßen und diese leichte Aufrichtung und den Fluss des Atems.

Mit dem inneren Auge schaut es nun zurück und spürt als Erstes die beiden Eltern und dann sieht es hinter den Eltern die Eltern der Eltern und es schaut weit zurück und bleibt mit dem eigenen Atem verbunden.

Und so tauchen mehr und mehr Menschen auf, schon bald sind die meisten unbekannt und die Konturen werden unscharf.

Gleichzeitig spürt das Kind eine Wärme im Rücken, wie von einem Licht von weit her und es schaut auch dorthin, wie zur aufgehenden Sonne am Horizont und es spürt die Wärme im Rücken und läßt sich bescheinen in seiner Zeit, so wie all die anderen in ihrer Zeit beschienen sind.

Nach einer Weile ahnt das Kind, dass dieses Licht, welches am Horizont aufgeht, aus einem anderen Licht entstanden ist, welches ihm und allen anderen aber verborgen bleibt.

Für einen kurzen Moment zittert es vielleicht innerlich und spürt gleichzeitig diese Wärme im Rücken von weit her und nimmt diese Wärme ganz in sich auf.

Es atmet tief mit allen anderen von weit her nach weit hin und so schaut es auch nach vorne und nach beiden Seiten, sieht die Lebenden und die Toten, Geschwister oder Partner, die eigenen Kinder, die Arbeit und die gelungenen und gescheiterten Projekte.

Das Kind schaut und atmet weit wie seine Lungenflügel in alle Richtungen und alles hat seinen Platz und seine Zeit – Atem und Stille – Bewegung und Innehalten – Kommen und Gehen.

Wie in einer Geste der Bezeugung für das Erleben und Schauen verbeugen sich die Eltern und das Kind dann im eigenen Zeitmaß, richten sich wieder auf und beenden somit die Reise, auf die wir immer wieder gehen können.

Margret Mees